Mythische und literarische Fakten

Wer oder was also ist Peitho?

Name und Zuständigkeit

Ihr Name — griechisch Peitho [peithṓ], lateinisch Suada (danach dürfte übrigens das gleichnamige spätantike Lexikon benannt sein), Suadela, Pitho oder Lepor — erweist sie als Personifikation, denn das Substantiv peitho, -ous [hē peithṓ, -oús] bedeutet Überredung, Überzeugung und bezeichnet auch den hervorgebrachten Zustand: Überzeugtsein, Zuversicht. Es leitet sich von dem Verb peíthein [peíthein] her, das genau wie das lateinische suadere zugleich überzeugen und überreden bedeutet, ohne die im Deutschen vorliegende Unterscheidung.

Darunter ist aber weder dürre Kanzlei-Beredsamkeit noch gar neumodische ›Medienkompetenz‹ zu verstehen, sondern zunächst ganz spezifisch die erotische Überredung. Anfänglich wird damit nichts weiter als der direkte Heiratsantrag gemeint gewesen sein, ausgesprochen von Seiten eines Mannes an eine Frau, bzw. (was in der frühgriechischen Gesellschaft, in welcher gámos sowohl Hochzeit als auch Ehe als auch Beischlaf bedeutet, wohl ziemlich dasselbe war) die Antwort auf die Frage: Wie bekomme ich sie ins Bett? Diese Verführung ist aber wohlgemerkt auf friedlich-verbale Mittel eingeschränkt (siehe unten).

Im Zuge der Verfeinerung der Gesellschaft überträgt sich Peithos Macht auf das persuasive Element in der gesamten Sprache der Liebe [Roland Barthes] mit all ihren unendlich feinen Nuancen, auf das ganze Spektrum der subtilsten aller Kommunikationen also, ob wir nun empirisch an schüchterne und dreiste Geständnisse, an Liebesgeflüster und Heiratsanträge denken oder die Liebe [etwa mit William Goyen] metaphysischer als den Anfang jeder Sprache überhaupt empfinden.

Überredung im Gegensatz zur Überwältigung

Peitho steht für die verbale Überzeugung im Gegensatz zu Gewalt und Zwang (bia), wie nach griechischer Auffassung überhaupt die Überredung (und damit die Rhetorik!) stets im Gegensatz zur Überwältigung verstanden wurde [vgl. Blumenberg, Anthropologische Annäherung … p. 111 RUB]; so wendet Peitho sich auf Darstellungen ab, sobald statt ihrer sanften Macht grobe Gewalt durchbricht. Dies illustriert etwa folgende Abbildung eines attischen Vasenbildes:

Peitho, die den auf Helena zustürmenden Menelaos nicht halten kann und sich abwendet

Bei der Eroberung Troias stürmt Menelaos an Peitho vorbei zornentbrannt auf die am Palladion Schutz suchende Helena zu — das heißt, er wird sich durch Zuspruch und Überredung nicht besänftigen lassen, da er seine untreue Frau mit Gewalt bestrafen will; daher wendet Peitho sich machtlos und beleidigt ab. Erst Aphrodite und vor ihr schwebend Eros halten den Rasenden auf — Menelaos verliebt sich beim Anblick Helenas neu, dem Bezauberten entgleitet sein Schwert. [Abbildung nach Weisser tab. 22 fig. 2; dazu Weizsäcker col. 1800 sq.] Auch Peithos Flucht auf einem Vasenbild, das den gewaltsamen Raub der Leukippiden zeigt, ist so zu erklären [Weizsäcker Abb. 6, col. 1807 sq., cf. col. 1801].

Dieser spezifisch gewaltlose Charakter Peithos findet sich später in Übertragungen auf Ehe- und Staatsführung wieder [etwa bei Plutarch; cf. Weizsäcker col. 1809, 1810].

Genealogie

Entsprechend ihrer Zuständigkeit erscheint Peitho meist zusammen mit den Chariten (Grazien) im Gefolge Aphrodites, wird gelegentlich gar zum bloßen Eponym der letzteren. Ihre Einordnung in die Genealogie der Götter ist wie bei vielen Personifikationsgestalten nicht einheitlich: Homeros erwähnt sie nicht, bei Hesiodos lernen wir sie als Tochtes des Okeanos und der Tethys kennen [Theogonia 349], die zusammen mit den Chariten bei der Erschaffung der Pandora auftritt [Erga 73]; Sappho nennt sie als eine der Chariten [200 Loebel-Page, frg. 1 col. ii lin. 8], Aischylos als Tochter Aphrodites [Suppl. 1038–1042].

Attribute

Als Attribut Peithos erscheint auf Darstellungen gelegentlich die Iynx, sowohl als Rad wie auch als Vogel.

Verehrung

Kulte der Peitho sind für viele Orte Griechenlands bezeugt. In Athen wurde sie zusammen mit der Aphrodite Pandemos verehrt und besaß ein kleines Heiligtum am Südosthang der Akropolis [Travlos, Athen 1–2, 8 Abb. 5]; ihren Kult soll Theseus persönlich eingeführt haben, nachdem er die Einwohner der umliegenden Dörfer überzeugt (sic!) hatte, zusammen in Athen zu siedeln und so die Stadtneugründung zu bevölkern [Pausanias I xx 3]. In Sikyon besaß Peitho einen eigenen Tempel an der Agora, die Aitologie berichtet wiederum Pausanias [II vii 7–9].

Bedeutung in der Literatur

In der altgriechischen Lyrik steht Peitho für erotischen Liebreiz und Anmut [Ibykos PMGF 288; Anakreon PMG 384; Rufinos, Anthologia Palatina V lxx]. Im Zeitalter der attischen Tragiker wandelt sich ihre Gestalt: schon bei Aischylos ist ein Übergang zur Assoziation allgemein rhetorischer Überzeugungskraft festzustellen, freilich noch nicht im Sinne einer gelehrten téchne [Agamemnon 385; Choephoroi 726; besonders Eumenides 885, 971 etc.]. Sophokles bestätigt diese Deutung, bei dem stark von der sophistischen Aufklärung geprägten Euripides wird sie vorherrschend, wie die berühmten, halb von Aristophanes [Frösche 1391] bewahrten Verse aus seiner verlorenen Tragödie Antigone zeigen [Frg. 170 Nauck]:

Die Überzeugung (peithó) kennt kein anderes Heiligtum als das Wort,
und ihr Altar ist in der Natur des Menschen.

Bedeutung in der bildenden Kunst

(folgt bei Gelegenheit)

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