Frische (und doch) klassische Motti

Was hat das Motto mit der Rhetorik zu schaffen? Nun, seine Wirksamkeit beruht zumindest ursprünglich auf der auctoritas, also einer durchaus rhetorischen Kategorie. Geschichte und Theorie des Mottos schildert ein schönes Kapitel in Gérard Genettes Buch über Paratexte.

Zur Einleitung und Mot[t]ivation eigener Texte sammle ich besonders sinnreiche Zitate; denn vorgekaute Zusammenstellungen gibt es zwar viele, aber den meisten fehlt strenge Auswahl, ihren Zitaten oft das ›gewisse Etwas‹; außerdem bevorzuge ich unverbrauchte Fundstücke: was in den Geflügelten Worten steht, kommt kaum noch in Frage. Ein Motto sollte im besten Fall zugleich klassisch sein, da es doch eine Berufung auf eine Autorität darstellt, sei es auch ironisch, und frisch, da wir das allzu Altbekannte nur als blasierte Reverenz wahrnehmen und nur aufmerken, wenn uns ein Text ein wenig überrascht oder zumindest eine schon verwehnte Erinnerung freilegt. Da ich nun meinerseits nicht alle erschöpfend verbrauchen kann, <ironisch>teile ich sie hier großzügig mit dem Rest der Welt</ironisch>; vielleicht schenkt mir ja auch einmal ein ähnlich Gesinnter einige passende Gegengaben?!

[Eckige Klammern] in den Zitaten gehören nicht zu deren Text, sondern kennzeichen einen Teil des Textes als für das Motto entbehrlich bzw. als separat verwendbar.


Theióteron gár erastés paidikôn, éntheos gár esti.

Denn göttlicher ist der Liebende als der Geliebte, weil in ihm der Gott (Eros) ist.

Platon, Symposion 180b.

Theôn oudeís philosopheí oud’ epithymeí sophós genésthai, ésti gár.

Keiner von den Göttern philosophiert oder begehrt weise zu werden, er ist es nämlich (schon).

Platon, Symposion 203e.

… teneat tamen eum cursum, quem poterit!

… behalte er also den Kurs bei, den er zu verfolgen vermag!

M. Tullius Cicero, Orator (›Der Redner‹) i 4

… sed nihil difficile amanti puto.

… nichts aber, glaube ich, ist schwierig für den, der liebt.

M. Tullius Cicero, Orator (›Der Redner‹) x 33

Als einfache, aber nicht üble Nutzanwendung vergleiche Lance Armstrong in Interview nach Gewinn der Tour de France 2000: »… und du musst lieben, was Du tust«. Diese Aussage kommt uns heute (2013) vielleicht entwertet vor, da Armstrong seine Siege im Radsport ebenfalls mit Doping errang. Aber an der Richtigkeit der Aussage ändert das nichts, und Doping allein hätte Armstrong kaum zu solchen Siegen geführt.

Nec quidquam est est aliud dicere nisi aut omnes aut certe plerasque aliqua specie illuminare sententias.

Redekunst bedeutet ist nichts anderes, als allen oder jedenfalls den meisten Gedanken auf irgendeine Weise Brillanz zu verleihen.

M. Tullius Cicero, Orator (›Der Redner‹) xxxix 136

Inprimisque hominis est propria veri inquisitio atque investigatio. [Itaque cum sumus necessariis negotiis curisque vacui, tum avemus aliquid videre, audire, addiscere coginitionemque rerum aut occultarum aut admirabilium ad beate vivendum necessarium ducimus.]

Und vor allem ist dem Menschen die Suche und das Aufspüren der Wahrheit eigentümlich. [Wenn wir frei sind von notwendigen Geschäften und Sorgen, begehren wir deshalb etwas zu sehen, zu hören und hinzuzulernen und halten die Erkenntnis verborgener und merkwürdiger (wunderbarer) Dinge für nötig zum glücklichen Leben.]

M. Tullius Cicero, De officiis (›Von den Pflichten‹) I iv 13

… quod verum, simplex sincerumque sit, id esse naturae hominis aptissimum.

… dass, was wahr, einfach und rein ist, der Natur des Menschen am gemäßesten ist.

M. Tullius Cicero, De officiis (›Von den Pflichten‹) I iv 13

ἄφες τὰ βιβλία· μηκέτι σπῶ· οὐ δέδοται.
(áphes tá biblía; mēkéti spṓ: ou dédotai.)

Wirf die Bücher fort; lass dich nicht mehr quälen: das ist nicht erlaubt.

Kaiser Marc(us) Aurel(ius), τὰ εἰς ἑαυτόν (›An sich selbst‹) II 2

Lucem demonstrat umbra.

Der Schatte weist das Licht [den Tag; die Stunde].

Inschrift einer Sonnenuhr am Rathaus von Gray in der Franche-Comté. Von wunderbarer Vieldeutigkeit, da lux sowohl das Licht als auch den Tag, die Tageszeit meint; dadurch wird einerseits das Wesen der Sonnenuhr beschrieben, andererseits über die gemeinsamen Assoziationen von Licht und Schatte auch eine Anwendung auf das menschliche Leben und Glück nahegelegt: wir erleben das Glück erst als Glück vor dem dunklen Hintergrund der Schattenseiten des Lebens.

Haec vere sapiet dictio, quae feriet.

Diese Rede erst wird schmecken/einleuchten, die zuschlägt.

Anonymus, Epitaphium Lucani Vers 6. Anthologia Latina I/2 ed. Riese 21906: Nr. 668; Lucanus, Bellum civile ed. Hosius 31913, S. 338; zitiert von Montaigne in seinen Essais.

Tu vince loquendo.

Du siege durch das Wort.

Sebastián de Covarrubias Orozco, Emblemas morales, Madrid 1610, II xxii, Motto. Zitiert nach Henkel/Schöne, Emblemata Seite 1290.

Beata solitudo o sola beatitudo.

Glückselige Einsamkeit oh einzige Glückseligkeit!

Inschrift am Tor des Inselklosters San Francesco in Deserto bei Burano in der Lagune von Venedig.

People seem to misinterpret complexity as sophistication.

Niklaus Wirth (Referenz noch nicht identifiziert)

Ich habe nur wie jeder Mensch versucht, meine Wahrheit zu finden, die meine, die sicher weder besser noch schlechter ist als die der Anderen, sondern nur eine andere.

Luis Cernuda, zitiert nach Octavio Paz, Cernuda — la realidad y el deseo. In: Cuadrivio, México 1965; deutsch in: Essays II, Frankfurt/Main 1980, S. 223.

Zur Startseite | To index, TOC Seite einpassen | Reframe page Valid XHTML 1.0 Transitional Valid CSS